Küche

Ein Mensch ist nichts.

Ein Mensch entwickelt keine Sprache.

Ein Mensch baut kein Haus.

Ein Mensch betreibt keine Landwirtschaft.

Ein Mensch fährt kein Schiff.

Ein Mensch industrialisiert nicht.

Ein Mensch baut sich kein Smartphone.

Ein Mensch zeugt kein Kind.

Ein Mensch ist Nichts!

Alles entsteht durch Menschen…

.. durch eine Gemeinschaft, ein Zusammenleben, eine Kooperation.

Ich nehme wahr, dass Menschen sich dieser Tatsache zunehmend wiedersetzen.

Auf Grund der zwischenmenschlichen Entfremdung fällt es einem Menschen heute immer leichter den Status quo als statische Umgebung wahrzunehmen.

Der Mensch verliert den Bezug zu dem Weg, den wir gegangen sind. Einen Weg, der durch Anstrengung, Tod und Leid geebnet wurde.

Ein Weg der uns nicht leitete, sondern zwang zur Findigkeit, zur Neugier, zur Problemlösung, und vor allem zum gemeinsamen Schaffen. Zum Erschaffen, Erfinden, Errichten, Erwirtschaften, Er…..

Er ist nichts.

Ohhhh my Buddha, ich bin kurz davor eine interne Genderdiskussion los zu treten.

Sieschaffen, Siefinden, Sierichten, Siewirtschaften, Sie…

Sie ist nichts.

ENS IST NICHTS!!

Abgeschlossen.

Das ist nicht der Gedanke, den ich im Moment ausarbeiten will.

Mir geht es um die offensichtliche, wunderbare Erkenntnis der Symbiose.

Das realistisch, mathematische Wunder, wenn eins plus eins plötzlich mehr als zwei ist.

Die Euphorie, die wir empfinden, wenn man nicht alleine ein Ziel verfolgt. Wenn ein Mensch neben dir schwitzt und die Stirn in Falten legt. Ihr euch müde anschaut, nickt und weiter schwitzt und denkt.

Diese Momente sind wertvoller, prägender und zusammener (ja das Adjektiv steht nicht im Duden) als jede Verzehnfachung eines Cryptodepots, jede Gucci Tasche, und alle 10k Insta-Likes…

Ich nehme wahr, dass unsere Bereitschaft auf diese Momente hinzuarbeiten schwindet. Die Belohnung, die uns erwartet schwindet nämlich im gleichen Maße.

Die Delokalisierung der Erfüllung unserer Bedürfnisse ermöglicht einem Menschen sich der Zusammenarbeit zu entziehen.

Ein einziger Mensch kann heute Alles, auch wenn ein einzelner Mensch eigentlich nichts kann.

Ein einziger Mensch hat auf Grund der Anonymität, Autonomie und individueller Anarchie die Option komplett abgekoppelt von Kooperation eine überdurchschnittliche Existenzqualität zu erreichen.

Ja, die Digitalisierung schafft Einzelkämpfer, wo sie doch eigentlich verbinden sollte.

Natürlich sind das Ausnahmen. Ausnahmen, die eine Entwicklung in Fahrt bringen, die ich mir nicht wünsche.

Genau diese Ausnahmen möchte ich anklagen. Diese Ausnahmen haben den Weg vergessen, den wir gegangen sind. Und ich bin mir sicher, die krisengeplagte Zukunft wird diese Individuen und ihren Egoismus strafen.

Nehmt mich nun als Pessimisten wahr, auch wenn ich mich als Realisten sehen.

Die gerade vergangene Vergangenheit und direkte Zukunft wird die angenehmste, entspannteste, luxuriöste und einfachste Zeit sein, die wir in den nächsten Jahrhunderten erleben werden.

Ein innovativer Rückschritt auf die Lebensqualität wird interessante Auswirkung auf die menschliche Psychologie offenbaren.

Nein, nope, nö, ….

Heute geht es nicht um düstere Zukunftsspekulationen. Heute schreibe ich, um einem unserer evolutorischen Key-Features zu danken: Gemeinschaft.

Eine Erfahrung, eine Anekdote, eine Erkenntnis:

Eine sehr guter Freund kauft ein viel zu teures, renovierungsbedürftiges Haus.

Hilf mir beim Umbau und wohne umsonst bei mir.

Ein digitaler Nomade freut sich auf eine kostenlose Unterkunft, gemeinsame Biere und schweißtreibende und erfüllende Handwerksarbeit.

Übergangswohnungen im Großstadtraum sind noch schwieriger und teurer zu bekommen als ne neue Niere.

Wir wohnen während den Renovierungsarbeiten im neuen alten Haus.

Ein Nomade und sein Kumpel, dessen bezaubernde Frau und unser aller Sonnenschein leben auf einer Baustelle.

Sonnenschein ist fast zwei Jahre alt, kann fast rennen, fast alles kommunizieren und ist fast immer gut drauf.

Wir Jungs renovieren fleissig vor uns hin und die Wochen verstreichen. Es herrscht normales Chaos.

Unsere bezaubernde Frau hat eine Leidenschaft: Kochen!

Asiatisch, scharf, süß, gesund, ungesund, Brokkoli, Glutamat, sticky rice, Mango, Song Tam, Reis, Nudeln, keine Kartoffeln, Tom Kha Gai, Lasagne, Kuchen-Experimente, …

So viel Spass, wie ich an einem neuen Computerspiel habe, so viel Spass hat sie an einem neuen Gericht.

Der Plan ist die bestehende, abgeschiedene, alte Küche in ein Arbeitszimmer umzuwandeln.

Die neue Küche wird Teil des grossen, offenen Wohnbereiches.

Die momentane Küche ist ein Chaos.

Werkzeug, Schrauben, Pflaster, Pfand, Spielzeug, Parkett-Zwischenlager, zehn Pfannen, aber nur fünf Gabeln. Die eine Hälfte der Utensilien ist noch in Kartons bei den Grosseltern, die Schränke sind voll mit altem, abgenutzten Zeug des verstorbenen Vorbesitzers. Renovierungs- und Küchenmüll finden nicht mehr raus.

Man verliert den Überblick und hat eigentlich nur das Zwischenziel die hungrigen Mäuler zu versorgen.

Wenn sich so viel Chaos in einem Raum konzentriert, geht es nur noch darum die Situation zu überstehen.

Als heute klar wurde, dass die neue Küche auf Grund von Lieferzeiten frühestens in vier Monaten Realität wird, war ich fassungslos, musste kurz fluchen und tief schlucken.

Die Motivation, nach einem intensiven Arbeitswoche, das Bad weiter zu bearbeiten war bei meinem Kumpel und mir heute an einem Tiefpunkt angekommen.

Doch als die Meisterköchin und ich leicht angetrunken in der Küche standen, passiert was letztendlich zu diesem Text führt.

Zwei Menschen, eine negative Situation.

Ein gemeinsames Ziel.

Kooperation, Motivation, Tatendrang.

Ein Zustand, der über mehrere Wochen als gegeben akzeptiert wurde.

In wenigen Stunden, verwandeln wir Chaos in Funktionalität. Zum ersten mal habe auch ich den Wunsch hier zu kochen.

Viel Kommunikation. Wo kommt was hin und warum? Wie lösen wir das sinnvoll? Weg damit! Und das muss hier hin.

Mir ist bewusst, dass ich hier nur die Einrichtung einer Küche beschreibe. Aber noch bewusster ist mir, dass anscheinend keiner von uns in der Lage war dieses Problem alleine zu lösen…

Ich habe morgen das Vergnügen mit dem kleinen Sonnenschein, der fast schwimmen kann, ins Hallenbad zu radeln, während Kumpel und Meisterköchin ins Küchencenter fahren, um die Zukunftsküche zu planen.

Ich wünsche beiden Neugier, Findigkeit, Kooperation und Kommunikation.

Wenn mich drei Jahrzehnte Familienleben, WG-Partys, Ferienhäuser, asiatische Strassen und Nomadetum etwas gelehrt haben, dann das die Küche eine Quelle von Gemeinschaft ist.

Menschen lieben Küchen.

Und ich liebe Menschen, die Küchen lieben.

Wir Menschen können Alles.

Gute Nacht und träumt schön, Deutschland.

Veröffentlicht: 2021-10-16