Bildschirmfrei

Eine Woche bildschirmfrei.

Vor einer Woche schaltete ich alles aus.

Verstaute die Bildschirme, den Laptop und das Handy am Dachboden.

Am ersten Tag hatte ich einen starken Kater.

Ich hatte so viel getrunken, dass ich nicht daran dachte Elotrans zu nehmen.

Als ich mittags erwachte, wunderte ich mich über die Situation und erinnerte mich noch daran, an drei Menschen eine Mail geschrieben zu haben, um sie über meine digitale Abwesenheit zu informieren.

Nahm die Situation aber als gegeben hin und lag mehr oder weniger den ganzen Tag verkatert rum.

Auf die Frage “Warum die Bildschirme weg sind?” erklärte ich eine bildschirmfreie Woche zu haben.

Reaktion - “Aha, so so …”

Am zweiten Tag einen langen Spaziergang mit Doggo, und Buch gelesen.

Abends kramte ich das E-Piano und den Verstärker vom Dachboden.

Noch nie zuvor hatte ich mich länger als ne halbe Stunde mit einem Klavier oder ähnlichem beschäftigt.

Doch mittlerweile verstehe ich, warum Menschen gerne Klavier spielen.

Ich hatte keine Tutorials und konnte nichts im Netz nachschauen.

Also probierte ich aus bis ich mehr und mehr verstand und hatte richtig Spass an der Musik.

Abgesehen von ein bisschen Küchenradio und gelegentlichen Konversationen herrschte sonst Stille.

Das war neu für mich.

Kein Spotify, YouTube, Discord, Teams, Games, etc.

Das kenne ich sonst nur vom Reisen und spürte wie ich es vermisste.

Bei Stille sind die eigene Gedanken lauter.

Letztendlich bestand mein ganzen Sein aus Schlafen, Essen, Kochen, Lesen, Piano, Rauchen, Hund, Natur und Meditation.

Die Mediation die seit ein paar Wochen nicht mehr Teil von mir war.

Die Gewissheit sich die Zeit zu nehmen, um frei zu sein.

Frei in den Gedanken. Gedanken wirklich reifen und entfalten lassen, weil man ihnen die Zeit gibt und den Fokus aufrecht hält.

Fokus den ich schon lange vermisse.

Ich denke, wenn mich etwas wirklich begeistert, dann wird meine Motivation die Konzentration erzwingen.

Aber da liege ich falsch. Diese Kausalität ist nicht gegeben.

Vice versa ist vermutlich sogar wahrscheinlicher.

Jedenfalls habe ich mich schon seit Wochen auf nichts fokussiert, sondern hüpfte von einer “grossartigen” Idee zur nächsten.

An Tag fünf und sechs verschlung ich den historischen Roman Der Medicus.

Die Geschichte lies mich ein weiteres mal erkennen wie gut es uns geht, vor allem aber wie mutig, leidensfähig und fokussiert der Mensch sein kann.

Ich beschloss den letzten Tag meiner bildschirmfreien Woche nicht ganz so bildschirmfrei zu gestalten.

Heute früh holte ich meinen supernicen, neuen Monitor vom Dachboden. Aber kein Handy, oder nen Zweitbildschirm.

Als Black Mamba hochgefahren war schloss ich sofort alle Kommunikations-Apps und entfernte meinen E-Mail Shortcut.

Heute hatte ich mir nämlich vorgenommen, wenn ich auf diesen Bildschirm glotze dann nur um zu coden und zwar nur an einer einzigen Aufgabe.

Eine Aufgabe, die ich schon seit mehreren Woche vor mir herschiebe.

Nach über zwölf Stunden Screentime bzw. acht Stunden WakaTime lief der Code.

Das Projekt an dem ich arbeite ist mit dem grössten Konzern der Welt verbunden.

Natürlich läuft noch nicht alles rund, ist clean und getestet, aber die Komplexität vor der ich mich drückte wurde abstrahiert.

Ein bisschen fühle ich mich wie nach einer harten Grundstudienklausur.

Was mich vor einer Woche um fünf Uhr morgens volltrunken dazu brachte meine Bildschirme wegzuräumen, ist mir immer noch nicht ganz klar.

Doch mein Rücken, meine Organe, mein Gemüt und mein Geist danken es mir.

Gute Nacht Deutschland.

Veröffentlicht: 2021-11-16